Ich bin der Weg zum Haus meines Vaters – Gedanken zum Bibeltext Joh 14, 1-12 (Sonntagsevangelium 10.5.20)

 Glaubt an Gott und glaubt an mich spricht Jesus

1 Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!

2 Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?

3 Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.

4 Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr.

5 Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen?

6 Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.

7 Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.

8 Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.

9 Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater?

10 Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke.

11 Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke!

12 Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.

Liebe Christgläubige

«Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird», soll Christian Morgenstern dereinst geschrieben haben. Fast könnte man meinen, er hätte diesen Satz als Kommentar zu diesem Evangelium verlauten lassen. Da sind auf der einen Seite Jesus und Gott, den Jesus vertrauensvoll «Vater» nennt. Die grosse Nähe ermöglicht blindes Vertrauen, gegenseitiges Verständnis ist spürbar. Es ist eine Beheimatung in sich.

Auf der anderen Seite ist Jesus mit seinen Jüngern – in einer offenbar ganz anderen Beziehung. Die Jünger verstehen ihn nicht. Trotz dreier Jahre gemeinsamen Weges, trotz vieler Lehren, Wunder und Staunenswertem, begreifen sie nicht. Die Ereignisse der letzten Zeit haben sie verwirrt. Sie trauen ihren Erfahrungen mit Jesus und seiner Lehre nicht mehr, auf jeden Fall nicht genug. Sie hatten gehofft, dass er sie von der Fremdherrschaft, der Unterdrückung und dem Hunger in ihrem Land erlösen würde. Jesu Umgang mit Herrschenden und Unterdrückten wies in ihren Augen darauf hin! Doch dann beginnt Jesus von seinem Abschied zu reden, von seinem bevorstehenden, gewaltsamen Tod. Und jetzt verstehen die Jünger nichts mehr. In welche Richtung geht das plötzlich? Was redet ihr Freund und Lehrer da?

Was redet oder tut dieser Mensch da? Eine Frage, die uns nicht fremd ist. Wir meinen, jemanden zu kennen und auf einmal verstehen wir nichts mehr. So kennen wir diese Person doch gar nicht! Je näher wir jemandem stehen, desto verwirrter sind wir, wenn Reaktionen, Aktionen oder Äusserungen kommen, die wir vorher noch nie gehört oder miterlebt haben. Offenbar neigen wir Menschen sehr schnell dazu, andere in eine Schublade zu stecken. Wir bilden uns ein Urteil, sei es positiv oder negativ, und daran halten wir fest. Manchmal kommt dann der Moment, wo wir nicht mehr wegschauen oder überhören können. Entweder brechen wir dann die Beziehung ab oder gestehen uns ein, dass unser Gegenüber, wie wir selbst, verschiedene Facetten hat und nicht unsere Erwartungen erfüllen muss. Nicht umsonst heisst es in den Geboten: du sollst dir kein Bildnis machen.

Dies gilt ebenso für unsere Beziehung zu Gott, für unseren Glauben. Den heilenden, segnenden, liebenden Jesus haben wir sofort ins Herz geschlossen. Dem Mann aus Nazareth, der Ungerechtigkeiten beim Namen nennt und mit brillanter Rhetorik die Machthabenden zum Schweigen bringt, zollen wir Bewunderung und Respekt. Dem Propheten, der Brot verteilt, sind wir dankbar, denn er befriedigt unsere Bedürfnisse. Und dann gibt es da eben auch noch den unschuldig Gefolterten, der ohnmächtig am Kreuz hängt und stirbt. Damit tun wir uns schwer. Wenn im Alltag alles gut läuft, dann sind wir mit Freude Gott dankbar. Trifft uns oder die Welt Leid, dann kommt schnell die Frage: wie kann Gott das zulassen? Wir verstehen Gott in solchen Momenten nicht. Nur in solchen Momenten? Ist es nicht so, dass wir Gott so oder so nicht wirklich kennen und verstehen? Ist Gott nicht immer ganz anders, als unsere Vorstellung, unser Bild von ihm?

Jesus lehrt uns da tatsächlich einen ganz eigenen Weg zu Gott, nicht einen, der über den Verstand, das Verstehen, die Analyse geht. Wahrheit und Wahrhaftigkeit gehören in allem zu seinem Leben, machen sein Leben aus, schaffen Vertrauen und lassen die Menschen gerne in seiner Nähe sein. Jesus ist authentisch. Die Menschen wissen, woran sie mit ihm sind. Sein Leben bewegt sich zwischen den tiefen Zweifeln des Schreis am Kreuz «mein Gott, warum hast du mich verlassen?» und dem vollkommenen Vertrauen seines letzten Satzes «in deine Hände lege ich meinen Geist». Jesus gesteht Gott zu, dass er unverständlich sein darf, geheimnisvoll, und dies bezeugt und lebt er den andern, uns, vor.

Verstanden werden gehört, wie Christian Morgenstern es sagt, zum Gefühl der Beheimatung. Jesus lehrt uns aber, dass zu diesem Verstehen auch das Zugestehen gehört, dass mein Gegenüber einen Bereich hat, der nur dem jeweiligen Menschen zugänglich ist, ein geheimnisvoller Bereich, der nur der Person und Gott vorbehalten ist. Jesus zeigt uns mit und durch sein Leben genug, was wir von Gott verstehen und erkennen können. Genug, um uns in diesem Glauben beheimatet fühlen zu dürfen. Wie hat ein Professor von mir einmal gesagt: Sorgen macht mir nicht, was ich von Gott nicht verstehe. Sorgen macht mir, was ich verstehe. Denn da bin ich eingeladen und gefordert, das Erkannte in meinem Alltag umzusetzen. Auf dem Weg Jesu, auf dem Weg unseres Glaubens, sind wir unterwegs. Nach Jesu Vorbild dürfen wir uns selber zugestehen, dass dieser Weg so verläuft, wie ein Labyrinth: mal sind wir näher an der Wahrheit Gottes, mal weiter entfernt, aber immer auf dem Weg zur Mitte, der ewigen Heimat.

Mit ihnen auf dem Weg

Yvonne von Arx