Seit 6 Wochen arbeite ich zuhause im Homeoffice. Dabei habe ich eine Begleiterin, die geduldig neben mir sitzt und zuschaut, was ich da am Computer so schreibe und mache: unsere Katze Milou. Sie ist schon 16 Jahre alt und leidet an Niereninsuffizienz. Der Tierarzt gab ihr letzten Mai noch Maximum ein Jahr. Aber Milou ist noch quietschfidel, sie geniesst das Essen und wenn ich sie streichle, schnurrt sie behaglich.
In diesen Wochen durfte ich viel von Milou lernen: Sie lebt ganz im Moment, geniesst den Augenblick und kann sich – trotz nahem Ende – genüsslich einringeln und friedlich schlafen. Sie macht sich keine Sorgen, was morgen kommt, und hadert nicht mit dem, was sie alles im Leben vielleicht verpasst haben könnte. Ganz in Zen-Manier lebt sie einfach im Moment. Diese Gelassenheit oder Weisheit würde uns Menschen manchmal auch gut tun.
Das Zweite, was ich immer wieder staunend beobachte, ist ihre Würde: Sie kommt mir nahe, weil sie diese Nähe schätzt. Aber wenn ich Zeichen mache, dass ich jetzt nicht will, beschäftigt bin, Aufgaben zu erledigen habe, schickt sie sich sogleich darein und dies mit einer Feinheit und Würde, die mich bewegt.
Einzig wenn ich mit meiner Frau, abends vor dem Einschlafen, oder am Morgen vor dem Aufstehen liebevoll spreche, dann ist es vorbei mit der Würde, dann kommt Milou mit vollem Protest, dann hält sie uns ganze Vorträge und drängt sich in die Mitte, genau zwischen uns beide. Die Eifersucht! Milou will selber in der Mitte sein, sie möchte geliebt, gekost, gestreichelt sein. Alles andere kommt nicht in Frage.
Unsere Katze hält mir den menschlichen Spiegel vor. Sie zeigt mir ungeschminkt, was auch wir uns alle wünschen: geliebt zu werden, Nähe zu spüren.
Ich bin Milou sehr dankbar, dass sie, wie man so schön sagt, 7 Leben hat und uns immer noch mit ihrem Wesen erfreut.
Erich Jermann