Gedanken zum Evangelium von Christi Himmelfahrt – Bibeltext Mt 28, 16-20 (21. Mai 2020)

16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte.

17 Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel.

18 Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde.

19 Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,

20 und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Liebe Christgläubige

So klein die Schweiz auch ist, so gross sind doch die Unterschiede der verschiedenen Regionen. In der Innerschweiz ist es an Christi Himmel-fahrt an vielen Orten noch Brauch, betend über die Felder zu ziehen oder eine Wallfahrt zu machen. Sogar der Wirtschaftskanton Zug sperrt für Fahrzeuge Strassen, damit die Pilgerinnen und Pilger ungehindert nach alter Sitte nach Einsiedeln wallfahren können. Zu Fuss machen sich da Menschen aller Dörfer und Städte bei jedem Wetter 3-8 Stun-den auf den Weg, je nachdem, wie weit sie von Einsiedeln entfernt sind.

In meiner ehemaligen Pfarrei gehörte dieser Anlass wie selbstver-ständlich ins Jahresprogramm. Wir waren noch die einzige Wegge-meinschaft, die auf dem ganzen Weg betete, ausser bei den Steilstücken beim Aufstieg auf den Raten. Das ordnete die Gedanken und liess Ruhe einkehren im Herzen. Das gemeinsame, betenden Unterwegssein liess eine ungeahnte Kraft spüren und verlieh der Gruppe eine andere Qualität des Beisammenseins, als das Plaudern und Erzählen bei einem gewöhnlichen Spaziergang. Durchnässt oder verschwitzt trafen wir nach 3,5 Stunden vor den Toren der Klosterstadt ein. In den Gassen waren die Gebete von 120 Gläubigen wieder deutlicher hörbar – und sogar spürbar. Wie sind Gebete spürbar? fragen Sie sich jetzt vielleicht. Es geht nicht um die Worte, sondern die Kraft, die durch die lange Gebets- und Meditationszeit spürbar wurde. Als wäre eine unbeschreibliche Dimension dazugekommen, die Himmel und Erde verbindet und sich durch nichts aufhalten lässt. Ein Geschenk der Nähe Gottes, für das die Gebete die Türöffner waren.

«Geht zu allen Völkern» heisst es im Evangelium als Vermächtnis und Auftrag des Auferstandenen. Damit war sicher nicht gemeint, dass wir unbekannte Länder erobern und ihre Bevölkerung zwangstaufen, wie dies vor gut 500 Jahren auf brutalste Art geschah. Zu den Völkern gehen im Sinne Jesu heisst, Jesu Lehre und Leben so verkünden, dass die Menschen neugierig werden. Warum ziehen da Männer und Frauen stundenlang über Stock und Stein durch die Gegend, wenn die Strecke in 20 Minuten mit dem Auto machbar wäre? Was ist das für eine Kraft, die bei solchen Momenten auch für andere spürbar wird? Menschen werden nicht nur bei solchen Gelegenheiten neugierig. Unser Verhalten prägt den Alltag. Woher hat sie die Kraft, das alles durchzustehen? wird gefragt, wenn jemand Schweres durchhält, ohne verbittert zu werden. Warum tut er das, wenn er nichts davon hat? ist eine andere verwunderte Frage. Woher kommt der Glanz in ihren Augen? Welch schöne Ausstrahlung hat er! Wer seinen Glauben so lebt, weckt Neugier bei den andern.

Es heisst «geht». Mit anderen Worten: es reicht nicht, dass wir Anweisungen geben, die Gebote vom Berg Sinai aufzählen können oder einfach die Geschichten von Jesus weitererzählen. Wir sollen auf dem Weg bleiben, uns bewegen. Wallfahrten ermöglichen durch äusserliches Gehen eine innere Beweglichkeit. Keine starren Gedanken, sondern den geistigen Horizont erweitern. Im Herzen bewegen, wie Maria es tat, auch wenn wir mit dem Kopf nicht verstehen. Nicht Wegweiser sein, sondern den Weg gehen. Jesus traut uns das zu. Himmelfahrt bedeutet: er ist weggegangen, damit wir mündig werden, den eigenen Weg wagen zu gehen. Jesus wollte kein Guru sein, der die Menschen um sich scharrt und sich zum Mittelpunkt macht. Der Mann aus Nazareth rief auf zur Freiheit der Kinder Gottes. «Es gibt weder Sklaven, noch Diener» hat es Paulus später formuliert. Welch wunderbares Fest doch Christi Himmelfahrt ist, führt es uns doch den Gott Jesu Christi vor Augen, dessen Grösse sich durch das Geschenk der Freiheit zeigt. Sich von nichts und niemandem versklaven lassen. Wenn wir so zu den Menschen gehen, werden sie von selbst neugierig auf den Gott, der mit uns ist, bis zum Ende der Welt.

Reisesegen aus Irland

Du Gott der Anfänge, segne uns,
wenn wir deinen Ruf hören,
wenn deine Stimme uns lockt
zu Aufbruch und Neubeginn.

Du Gott der Anfänge, behüte uns,
wenn wir loslassen und Abschied nehmen,
wenn wir dankbar zurückschauen
auf das, was hinter uns liegt.

Du Gott der Anfänge, lass dein Gesicht leuchten über uns,
wenn wir in Vertrauen und Zuversicht
einen neuen Schritt wagen
auf dem Weg unseres Glaubens.

Du Gott der Anfänge, schenke uns Frieden,
wenn der eigene Weg uns aufwärts führt,
wenn wir Lebewohl sagen.
Lass die Blumen blühen für jeden von uns,
lass Wind uns den Rücken stärken
und die Sonne warm auf das Gesicht schauen,
wo immer wir gehen.

Du Gott der Anfänge, segne uns.
Amen.

Text: Yvonne von Arx
Zeichnung: André Lachnit