Die kleinen Dinge

Es gibt Menschen, die streben das Leben lang noch grossen Dingen: Ruhm, Reichtum, Macht. «Big is beautiful» hört man dann oft. Und in der Wirtschaft scheint das Gesetz zu herrschen, dass nur Firmen überleben, die immer grösser werden. Wenn der Jahresgewinn «nur» noch 3 Milliarden Franken ist, gegenüber 4,5 Milliarden im letzten Jahr, ist das schon eine schlechte Nachricht und die Börsenwerte fallen entsprechend. Wachstum ist das oberste Gebot. Ist das immer gut? Wenn sich einzelne Zellen im Körper ständig vermehren, ist das gar nicht gut, man spricht dann von Krebs. Und man setzt alles daran, das Wachstum zu bremsen. Dies nur ein Gegenbeispiel.

Umgekehrt gibt es viele philosophische und religiöse Bücher, die die «kleinen Dinge» ehren und uns einladen, diese in unserem eigenen Leben wahrzunehmen und wertzuschätzen.

Die «kleinen Dinge» haben es in sich. Sie geben dem Leben die Würze, machen es farbig und lebenswert. Wie schön ist ein kühles Bier mit Freunden im Hochsommer, entspannt und ohne Zeitdruck in einem Kaffee, wenn auch mit sicherem Corona-Abstand! Oder ein gemeinsamer Spaziergang in der Natur, der Wind im Gesicht, der Duft der Wiesen in der Nase. Es braucht nicht viel, damit wir glücklich sind. Gerade in der jetzigen Coronazeit ist mir das wieder aufgefallen. Ein liebes Wort zum Nächsten, eine Geste der Freundschaft oder Dankbarkeit: Solche «kleinen Dinge» sind eben nicht klein, sondern gross. Sie machen das Leben aus.

Oft warten wir auf eine grosse Zukunft, die noch kommen soll, und vergessen dabei das Naheliegende. Und haben wir dann vielleicht endlich unsere Millionen gespart, um dann glücklich zu leben, haben wir keine Zeit mehr, denn eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag machen all unsere schönen Pläne zunichte.

Was sollen wir dann tun? Ich finde, es gibt eine einfache Antwort: Den heutigen Tag nutzen. Soviel wie möglich einander Gutes tun und sich einfach freuen, dass wir leben können. Das geht auch in Corona-Zeiten. Und nicht jammern über die Einschränkungen, die uns heute betreffen, sondern vorwärts schauen und das Beste daraus machen. So vieles ist möglich, mit Kreativität und Lebenslust, ohne dass wir die Vorsichtsmassnahmen aufgeben.

Das kleine Corona-Virus (das nur etwa ein Zehntausendstel Millimeter gross ist) hat es geschafft, die ganze Welt für Monate lahmzulegen. Aber noch etwas Kleineres, ja Unsichtbares ist noch stärker: unsere Liebe, unsere Lebensfreude, unsere Phantasie. Diese bieten den negativen Folgen des Virus die Stirn und helfen uns zu einem bewussteren Leben ganz im Heute und im Jetzt. Nutzen wir diese unsere inneren Kräfte!

Erich Jermann