Gedanken zum Palmsonntag

Bibeltext Mt 21, 1-11

1 Als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage am Ölberg kamen, schickte Jesus zwei Jünger aus

2 und sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen.

4 Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt worden ist:

5 Sagt der Tochter Zion: / Siehe, dein König kommt zu dir. /

Er ist sanftmütig / und er reitet auf einer Eselin / und auf einem Fohlen, / dem Jungen eines Lasttiers.

6 Die Jünger gingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte.

7 Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie und er setzte sich darauf.

8 Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen:

Hosanna dem Sohn Davids! / Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. / Hosanna in der Höhe!

10 Als er in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt und man fragte: Wer ist dieser?

11 Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.

Liebe Pfarreigemeinschaft

„So ein Esel!“ – wer von uns hat das nicht schon mal gedacht oder gesagt. Meistens greifen wir zu einer solchen Beschreibung für einen Menschen, wenn er oder sie sich komplett stur stellt, sich bockig verhält oder man jeden Augenblick damit rechnen muss, dass er oder sie richtig verletzend wird – eben, wie ein störrischer Esel ausschlägt.
Da ist es doch erstaunlich, welch buchstäblich tragende Rolle der Esel in diesem Evangelium spielt.
Nun, das Grautier schlägt nicht immer aus. Meistens sind diese Tiere sehr umgänglich, sie haben weder Krallen noch Gift, das sie einsetzen könnten; dafür sind sie sehr belastbar und äusserst geländegängig, auch in unwegsamen Regionen. Der Esel hat zum Alltag der Menschen in der Heimat Jesu gehört und war ein sehr nützliches Tier.

Ganz anders das Pferd. Pferd- und Wagenrennen waren etwas typisch Römisches, also etwas, das nicht heimatliche Gefühle weckte, sondern zur Besetzungsmacht gehörte. Die unterworfene Gesellschaft im Lande Jesu hatte praktisch alle Rechte verloren. Die Römer sassen buchstäblich auf dem hohen Ross und haben die Menschen der eroberten Gebiete von oben herab behandelt.
Jesus kam auf dem Eselsfohlen – ein deutliches Zeichen, das die Menschen damals sehr wohl verstanden und das die tiefe Sehnsucht des Volkes, von der römischen Knechtschaft befreit zu werden, nährte. Ein grosser Teil des Jubels war von dieser Hoffnung geprägt.

Doch Jesus kam ganz anders als erwartet; zu brüchig ist das Bejubelt werden, zu kurzlebig die Macht.

Jesus hat ein viel tieferes Zeichen gesetzt, eines, das für die Menschen aller Generationen gilt, auch für uns. In einer Meditation von Alfons Gerhardt (aus: A. Gerhardt, Mit Kranken am Tisch des Herrn. Lahn-Verlag, 1998) wurde es so formuliert:

der Sinn eines Lebens
richtet sich nicht
nach Stärke und Leistung.
Der Sinn eines Lebens
besteht vor allem
in Liebe und Hingabe.
Auch in Schwachheit und Leid
bleibt das Leben ganz wertvoll.

Welch gewichtige Worte in der heutigen Zeit, in der so oft das Gesetz des Stärkeren gilt und fast alles auf Leistung ausgerichtet ist! Arbeitslose, behinderte, kranke oder alte Menschen müssen oft erleben, dass sie nicht mehr ernst genommen werden oder enorme Schwierigkeiten haben, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Oder sie machen sich gar selbst Vorwürfe, dass sie die Gesellschaft so viel kosten. Dagegen ruft der Palmsonntag in Erinnerung: das Leben ist wertvoll, auch in Schwachheit und Leid.
Die Geschehnisse des Palmsonntags rufen ausserdem eine ganze Menge ins Bewusstsein, was zum menschlichen Alltag und Umgang miteinander gehört.
Beispielsweise finden wir keine Lösungen für weltweite oder persönliche Probleme, wenn sich jemand der Beteiligten aufs hohe Ross setzt oder sich aufführt wie ein sturer Esel.
Wir können keine Beziehungen aufrechterhalten, wenn wir Menschen fallen lassen, nur weil sie unsere Erwartungen nicht erfüllen. Eine Ent-Täuschung führt uns manchmal heilsam vor Augen, dass wir uns getäuscht haben. Jesus hat die Erwartungen der Menschen nicht immer erfüllt, vor allem nicht am Palmsonntag. Aber er hat uns auf diese Art viel mehr, viel Wesentlicheres, Sinnstiftendes hinterlassen.
Und ein letzter Hinweis aus dieser kurzen Szene: viele jubeln und feiern mit uns, solange alles gut geht. Wenn der Kreuzweg beginnt, bleiben nur noch ganz wenige bei uns.

Der Palmsonntag ist dieses Jahr anders gekommen, als wir es uns gewünscht hätten. Möge er uns dadurch vor Augen führen, dass Jesus ebenfalls „anders“ kam, nicht erwartungsgemäss. Dafür brachte er uns die wunderbar tröstliche Botschaft: auch in Schwachheit und Leid bleibt das Leben ganz wertvoll.                                   

Gebet                                                                                          

Barmherziger Gott,

Lass uns nicht nur am Weg stehen und Hosianna rufen,

sondern unsern Weg mit einander und füreinander gehen.

Lass uns einsehen, dass Hass und Gewalt nicht die richtigen Mittel sind,

Probleme zu lösen.

Lass uns nicht verzagt oder verbittert werden, wenn unser Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden zu unserem Nachteil wird.

In Jesus Christus hast du den Menschen in die Augen geschaut,
ihre Nöte und Ängste gesehen,
ihre Hoffnung und Sehnsucht.

Lass uns darauf vertrauen,
dass du auch jetzt in unsere Augen schaust:
du siehst die Existenzängste, die sich darin widerspiegeln,
die Todesangst, die ihre Schatten wirft,
die Fragen, wie es weitergehen soll.

Lass uns die Möglichkeiten sehen,
die sich uns bieten.
Lass uns solidarisch sein.
Lass uns daran glauben,
dass du hilfst, wo niemand es kann.

Denn du lebst und wirkst in Ewigkeit. Amen

Texte: Yvonne von Arx

Foto: Martin Thomann, Osterweg Kirche Christkönig